HT 2004: Repräsentation des Raumes: Das Beispiel der Karte

HT 2004: Repräsentation des Raumes: Das Beispiel der Karte

Organisatoren
Ute Schneider, Christoph Dipper
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.09.2004 - 17.09.2004
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Von
Bernhard Struck, Berlin

Der 45. Deutsche Historikertag stand unter dem Motto "Kommunikation und Raum". Vor dem Hintergrund dieses Rahmenthemas lag es nahe, sich einer in der deutschen historiographischen Tradition bis heute kaum beachteten Quellengattung, der Karte, zuzuwenden. Lag es bei der Vorgabe des Themas nicht ebenso nahe, den Schritt über den Tellerrand der eigenen Disziplin und den Brückenschlag hin zu Geographie und Kartographie zu wagen? Leider blieben sowohl die kritische Auseinandersetzung mit Karten und kartographischem Material als Quelle des Historikers als auch der interdisziplinäre Austausch eine Seltenheit. Eine positive Ausnahme von der Regel bildete die von Ute Schneider (Darmstadt/Braunschweig) und Christof Dipper (Darmstadt) geleitete Sektion unter dem Titel "Repräsentation des Raumes: das Beispiel der Karte".

In die insgesamt kohärente Sektion führte zunächst Ute Schneider thematisch ein, indem Konzept und Fragestellung der Sektion präsentiert wurden. Unter dem Titel "Wie die Statistik in die Karte kam" hielt Schneider anschließend den ersten von vier thematischen Vorträgen. Zoe Laidlaw (Sheffield) sprach zum Thema "The Empire in Red: Maps and the British Imperial Imagination". Christof Dipper fragte in seinem Vortrag, "Was vom Nationalsozialismus bleibt. Der Geschichtsatlas und die Bewältigung der Vergangenheit". Abschließend sprach die Geographin und Kartographin Sara Fabrikant (St. Barbara) zu dem Thema "Karten als räumliche Metaphern". Diesen Themen folgend konzentrierte sich die Sektion auf Aspekte einer kritischen Geschichte der Kartographie für die Zeit zwischen dem späten 18. Jahrhundert und der Gegenwart. Präsentiert wurden verschiedene Kartentypen und die Interpretation ihrer Bestandteile, darunter Titel, Farbgebung, Beschriftung oder schlicht das, was Karten gerade nicht abbilden.

Karten, so Ute Schneider in ihrer Einleitung, seien ein - auf den ersten Blick - banales Objekt, ein alltägliches, oft unverzichtbares Hilfsmittel. Hierzu zählte sie Stadtpläne, Wetterkarten, Wahl- oder Landkarten. Die unterschiedlichen Kartentypen deuten bereits an, dass Karten den Raum stets nach bestimmten und zugleich begrenzten Kriterien organisieren und strukturieren. Durch den alltäglichen Gebrauch von Karten meine man gemeinhin zu wissen, wie diese funktionieren, welche Aussage sie transportieren und wie man mit ihnen umzugehen habe. Dass die Interpretation von Karten komplizierter weitaus komplizierter sein kann, sollte die Sektion in beeindruckender Weise zeigen.

Zunächst repräsentieren Karten, so Schneider, den Raum nach geographischen Kriterien. Doch sowohl der diachrone wie auch der räumliche Vergleich zeige, dass geographische Kriterien, die als gegeben, messbar und damit objektiv erscheinen, zeitlich wie räumlich wandelbar sind. Mittelalterliche Karten folgten nicht denselben geographischen Kriterien wie Karten der Frühen Neuzeit, die u.a. im Kontext der europäischen Expansion entstanden, oder des 19. Jahrhunderts, als die Nation als zu repräsentierender Gegenstand in den Vordergrund rückte. Der Wandel der Kriterien bedeute nicht, darauf wies Schneider zu Recht hin, dass Karten mit der Hinwendung zur Geographie im 19. Jahrhundert notwendig "objektiver" geworden seien. Vielmehr müsse man bei der Interpretation von Karten stets beachten, dass Kartographen Entscheidungen treffen und in kreativer Weise in den Prozess der Produktion von Karten eingreifen. Kartographen - zu ergänzen wären vor allem für das 19. und 20. Jahrhundert Institutionen und Bürokratie - entscheiden über Inhalte, Themen, Darstellungsstile, Beschriftungen, Ausschnitte, Farbgebung und nicht zuletzt über Auslassungen. Berücksichtige man diese Auswahlkriterien und beachte den Aspekt der Kreativität, so seien Karten als "rhetorische Bilder" (J. B. Harley) zu betrachten, für die "unterschiedliche zeitspezifische Codes", so Schneider, gelten. Codes wie Farbgebung oder Ausschnitt könnten nur vor dem Hintergrund zeitgenössischer Diskurse und gesellschaftlicher Kontexte interpretiert werden.

Vor dem Hintergrund dieser ebenso knappen wie klaren Einführung zu Karten, ihrer Aussagekraft und Interpretationsbedürftigkeit erstaunt es, dass die deutsche Geschichtswissenschaft dieser Quellengattung bisher kaum Beachtung geschenkt hat. Ute Schneider konstatierte gar eine Abneigung unter deutschen Historiker gegenüber Karten. Blättert man durch die großen Erzählungen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, sei es von Hans-Ulrich Wehler, Thomas Nipperdey oder Heinrich August Winkler, sucht man Karten tatsächlich vergebens. Deutschland, als der zu füllende nationale Raum, wird offenbar kaum als problematisch betrachtet. Dabei würde eine Karte des 19. Jahrhunderts, in der nationale Grenzen keineswegs deckungsgleich mit Sprachgrenzen wären, notwendig die Frage nach den Grenzen des nationalen Raumes aufkommen lassen. Der Karte wird nicht nur als Quelle bisher kaum Beachtung geschenkt, auch als Darstellungsmaterial bleibt sie marginal, ganz im Gegensatz beispielsweise zur französischen Tradition, in der Geschichte und Geographie in enger Verbindung zu einander stehen.

Mit der Einleitung war der Sektion ein klarer Leitfaden vorgegeben. Karten, so die Aussage, sind nicht allein passive Abbildungen des Raumes, die diesen nach mathematisch-messbaren Kriterien abbilden. Wie alle anderen Quellen auch, so die Forderung, müssen sie kritisch auf ihren Aussagewert, auf ihren Entstehungskontext, hinsichtlich ihrer Autoren und ihres Publikums hinterfragt werden. Die Geschichte der Kartographie müsse kritisch betrachtet werden, da sie mehr sei als die stete Optimierung von Vermessungs- und Abbildungstechniken. Die angerissenen Aspekte und Leitfragen folgten dem interpretativen Ansatz und konstruktiv-kritischen Verständnis von Karten, wie sie u.a. von John B. Harley, Christian Jakob oder Jeremy Black 1 seit den späten 1980er Jahren formuliert worden sind, und zogen sich konsequent durch die vier thematischen Vorträge.

Ute Schneider untersuchte in ihrem Vortrag die Abbildung statistischer Daten in Karten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Anhand mehrerer Kartenbeispiele ging sie nicht nur der Frage nach, wie die Statistik in die Karte kam, sondern wie bsp. die statistische Erhebung von 1910 zu Nationalität und Sprache in unterschiedliche kartographische Repräsentationen in der Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg umgesetzt wurde. Anhand verschiedener Karten zeigte Schneider, dass vermeintlich neutrale und objektive statistische Daten nicht einfach auf einer Karte abgebildet werden, sondern die kartographische Repräsentation solcher Angaben geprägt ist von gesellschaftlichen Diskursen und politischen Ereignissen, so z.B. der Auseinandersetzung um verlorene Territorien nach dem Ersten Weltkrieg.

Als zentrale These formulierte Schneider, dass "nationale Diskurse" und Sprache als "zentraler Baustein nationaler Identität" mit Hilfe statistischer Erhebung "gleichsam aus dem Territorium gewonnen und in dieses über die Karten ein- und festgeschrieben" wurden. Das Nicht-Sichtbare, die Nation, wurde erst durch die Karte sichtbar gemacht, das nationale Territorium wurde zum Identitätsspender. Karten dienten dazu, die Nation zu veranschaulichen, ihr Zusammenhang und Kontur zu geben und sie nach außen abzugrenzen 2. Nicht selten geschah dies durch die homogenisierende Darstellungsform der Farbgebung, die einheitlich erscheinen ließ, was so einheitlich nicht war.

Einen entscheidenden Umbruch in der kartographischen Darstellung markierte Schneider für die 1820er Jahren. In dem Moment, als die bürgerliche Öffentlichkeit die Relation von Staat und Bürger in einem neuen Licht zu sehen begann, stellte sich die Frage nach dem "Charakter der Nation". In diesem Kontext entstanden bis in die 1840er Jahre eine Reihe von Karten, die Aspekte wie Bevölkerungsdichte, Konfession oder Sprachverteilungen abbildeten. Letztere, die Sprache, sollte als "Ausweis des Nationalcharakters" gelten. Um die Jahrhundertmitte rückten in Karten von Karl Bernhardi und Heinrich Berghaus Sprache und vor allem Sprachgrenzen nach außen in den Vordergrund. Die Sprachkarten der Jahrhundertmitte suggerierten einen deutschen Raum und ein nationales Territorium, das durch seine Sprache und Dialekte bestimmt war, wobei die kartographische Repräsentation der Nation um 1850 darüber hinwegtäuschte, dass sich die statistische Erhebung zu Sprachverteilungen noch in der Anfangsphase befand und nur wenig zuverlässige Daten lieferte. Nichtsdestotrotz prägten Karten bereits ein halbes Jahrhundert vor der Reichsgründung von 1871 die Vorstellung von einem fest umrissenen nationalen Territorium. Somit stellte die kartographische Repräsentation von statistischen Daten, deren Erhebung sich zwar bis ins 17. Jahrhundert zurück verfolgen lässt, aber deren Darstellung bis ins späte 18. Jahrhundert weitgehend narrativ erfolgte, einen nicht unwesentlichen Baustein im nationalen Diskurs um eine vorgestellte Gemeinschaft.

Wenn Schneider in ihrer Einleitung unter Berufung auf J. B. Harley Karten als "rhetorische Bilder" bezeichnet hatte, griff Zoe Laidlaw diesen Begriff und die Leitfragen der Sektion nahtlos auf, indem sie nach den Strategien der Karten als rhetorische Bilder im Kontext des britischen Weltreichs fragte. Dabei ging es ihr im Kern um zwei präzise Zeiträume, die 1830er Jahre und das Ende des Jahrhunderts. Hierfür untersuchte sie beispielhaft mehrere Weltkarten, die das britische Weltreich zum Gegenstand hatten, und fragte nach Farbgebung, Beschriftung oder der Anordnung des Empires auf der Karte.

Auch Laidlaw knüpfte an die Gruppe der Kartographiehistoriker um J. B. Harley an und verwies darauf, dass Farbgebungen auf Karten nicht willkürlich geschehen, sondern oft Ausdruck von territorialer Macht, "territorial power", seien. Neben Harley verwies Laidlaw u.a. auf Matthew Edney, der in seiner Untersuchung zur kartographischen Erfassung von British India auf Aspekte wie die der Kolorierung hingewiesen hatte 3. Durch kartographische Strategien wie Farbgebung, Beschriftung oder Auslassung, darauf haben Edney oder Harley wiederholt hingewiesen, werde Herrschaft legitimiert, ein bestimmter status quo bestätigt. Genau dieses Ziel erfüllten die gezeigten Karten des 19. Jahrhunderts für das britische Weltreich. Die Karten rückten die britischen Inseln, das Mutterland, oft ins Zentrum der Karten, so dass die kolonialen Besitztümer wie Planeten um die Sonne kreisten. Die Angabe von Schiffsrouten und Handelswegen suggerierte eine enge Vernetzung von Zentrum und Peripherie. Das gleiche geschah durch bewusste Auslassungen. Halbe Kontinente oder ganze Länder verschwanden von den Karten, um das Mutterland und die Kolonien kartographisch enger zueinander zu führen.

Die auffälligste kartographische Strategie bestand jedoch in der Farbgebung, bei der durchgängig rot für die Gebiete des Empire gewählt wurde. Ziel sei es gewesen, so Laidlaw, durch die Farbgebung den Zeitgenossen die Geschlossenheit des Empire vor Augen zu führen. Territorien, die in der kolonialen Praxis alles andere als zusammengehörig waren, erschienen als zumindest theoretisch einheitlich und zusammengehörig. So waren neben Militär und Verwaltung vor allem Karten daran beteiligt, ein "Greater Britain" zu konstruieren. Überzeugend demonstrierte Laidlaw, dass der Einsatz von Karten v.a. in den späten 1830er Jahren, als Großbritannien vor einer Vielzahl von Problemen in den einzelnen Kolonialgebieten stand, und in den 1880er Jahren, im Kontext des "new imperialism", von besonderer Bedeutung war, um der Öffentlichkeit, aber auch der Regierung und der Kolonialverwaltung ein geeintes Empire zu suggerieren.

Christof Dipper untersuchte in seinem Beitrag die kartographische Repräsentation des Nationalsozialismus in Atlanten der Zeit zwischen 1940 und 1990. Dabei konzentrierten sich die Beispiele aus Atlanten wie dem Putzger, dem dtv-Atlas, Westermann oder dem Großen Historischen Weltatlas auf die Zeit der späten fünfziger bis in die siebziger Jahre. Der rhetorischen Frage, "was vom Nationalsozialismus bleibt?", und der Frage nach den Weltbildern der Kartographen ging Dipper anhand der Bereiche Bombenkrieg, Vertreibung sowie der Frage der kartographischen Darstellbarkeit von Nationalsozialismus und Holocaust nach. Gefragt werden, so Dipper, müsse jedoch nicht allein nach dem in den Karten Abgebildeten, sondern v.a. nach den Auslassungen, den "silences of the map", um einer zentralen Formulierung von J. B. Harley zu folgen.

Diesbezüglich konstatierte Dipper ein bewusstes Ausklammern der Zeit zwischen 1933 und 1945 in den unmittelbar in der Nachkriegszeit entstandenen Atlanten. Bis Anfang der fünfziger Jahre endeten die meisten Atlanten mit Karten der Zeit um 1930, bis schließlich die ersten Karten zum Themenkomplex Zweiter Weltkrieg integriert wurden. Ausgeklammert wurde jedoch, anders als in Geschichtsbüchern, bis in die siebziger die Frage nach den Ursachen des Krieges. Dies sei nicht zufällig geschehen, vielmehr könne die kartographische Darstellung als repräsentativ für die bundesrepublikanische Sicht auf den Nationalsozialismus gelten.

Der Bombenkrieg, der erst in jüngster Zeit wieder verstärkt ins Zentrum historischer Debatten rückte, sei in den Atlanten der Nachkriegszeit keineswegs tabuisiert gewesen. Karten zur Zerstörung deutscher Städte tauchten in einer Phase auf, als die sichtbaren Spuren am Ende der ersten Aufbauphase verschwanden. Was aus dem Alltag verschwand, wurde über Karten in der Erinnerung wach gehalten. Dargestellt wurden einerseits Diagramme zur Menge der Bomben, andererseits wurden die Luftangriffe auf deutsche Großstädte wie Hamburg und Berlin thematisiert. Ergebnis dieser kartographischen Repräsentation, so Dipper, war die Stilisierung der Deutschen zu Opfern des Krieges. Eine vergleichbare "Selbstbezogenheit" ergab die Untersuchung zum Komplex Vertreibung, indem die Deutschen bzw. die Heimatvertriebenen als Opfer erschienen. Für beide Themenkomplexe, Bombenkrieg und Vertreibung, so das Fazit, sehe der Kartenleser nur die Folgen des Nationalsozialismus für Deutschland, nicht aber den wahren Urheber.

Bis in die frühen sechziger Jahre blieb der Nationalsozialismus ein blind spot der Atlanten. Dargestellt wurden allenfalls eine Verkehrskarte des Jahres 1939, die die NS-Errungenschaft der Autobahn darstellte, oder eine territoriale Karte mit "Jahresringen" der Gebiete, die das "Altreich" sukzessive annektiert hatte. Erst 1961 erschien im Putzger eine Karte, die Deutschland in brauner Farbe darstellte und die versuchte, die Organisationsform des NS-Regimes sowie den Vernichtungsapparat des Systems darzustellen. Diese Karte wertete Dipper als eine verzögerte Reaktion auf die mittlerweile fest etablierten "Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" oder Walter Hofers "Der Nationalsozialismus" von 1957. Trotz dieser Karte, so das kritische Fazit zu diesem Komplex, sei es bis in die neunziger Jahre bei einer unangemessenen Darstellung des Themas in den Geschichtsatlanten geblieben. Thesenhaft spitzte Dipper diesen Befund darauf zu, dass die Kartenbilder die Haltung der Deutschen zur nationalsozialistischen Vergangenheit besser widerspiegelten als die im Laufe der Jahrzehnte gewachsene Forschung oder umfangreiche feuilletonistische Debatten. Nicht weniger kritisch fiel das Fazit zur kartographischen Umsetzung des Themas Holocaust aus. Dieser sei bis ca. 1960 nicht selten unter dem Komplex "Wanderungsbewegungen" abgehandelt worden und erst der Eichmann- und der Auschwitz-Prozess, später dann die Fernsehserie zum Thema, hätten hier ein Umdenken ausgelöst, so dass erstmals 1966 eine Karte den Begriff "Endlösung" verwendete. Vor dem Hintergrund der eher ernüchternden Suchergebnisse endete Dipper mit einem Plädoyer für einen kritischen Umgang mit Karten, der an die Erkenntnisse aus der Debatte zum linguistic turn anschließe.

Die dargebotenen Beispiele demonstrierten ohne Frage, dass Geschichtsatlanten kaum zur Avantgarde einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gehörten. In der anschließenden Diskussion wurde jedoch zu Recht die Frage gestellt, ob man dies überhaupt erwarten könne, da die Kartenwerke sich immer nur an dem jeweiligen Forschungsstand orientieren können, der seinerseits Zeit benötigte, die Themen aufzuarbeiten. Wichtiger noch erschien die Frage, ob die dargestellten Karten tatsächlich Rückschlüsse auf die "Weltbilder der Kartographen" erlaubten und diese wiederum als repräsentativ für die Haltung einer ganzen Gesellschaft gelten könnten. Denn was die Haltung der Kartographen angehe, so ein Diskussionskommentar, müsse gerade bei Geschichtsatlanten berücksichtigt werden, dass ein ganzes institutionelles Umfeld an den Entscheidungsprozessen beteiligt ist.

Den gelungenen Abschluss der Sektion bildete Sara Fabrikant, die sich als Geographin und Kartographin selbst als "Täterin" bezeichnete. Auf beeindruckende Weise gelang ihr die Bündelung der Leitfragen der Sektion anhand einer Reihe von Karten und kartographischen Darstellungen. Ausgangspunkt war Magrittes Bildtitel "Ceci n'est pas une pipe". Karten, so der kunsthistorische Umweg, sind stets nur Repräsentation, nie der Gegenstand bzw. der Raum selbst. Diesen könnten Karten nur abbilden, meist statisch, in Auswahl sowie in generalisierter und symbolisierter Form. Wie verschieden die Kategorien der Abbildung und der Kognition des Raumes sein können, zeigten drei Karten von Los Angeles. Alle drei zeigten die alltäglichen Wege und Orte von drei Einwohnern der Stadt. Die unterschiedlichen Routen wiederum spiegelten die soziale und professionelle Situation der drei Autoren der Karten wider. Nicht nur Pierre Bourdieu hätte seine Freude an der sozialen Distinktion durch Karten gehabt, auch der im Laufe der Sektion mehrfach zitierte J. B. Harley wurde bestätigt, indem Karten nicht nur etwas über den abgebildeten Raum aussagen, sondern v.a. über die Macher, die Hersteller, die Kartographen selbst. Über verschiedene Karten zur Abbildung der Präsidentschaftswahlen in den USA im Jahr 2000 gelang es Fabrikant, die Rolle des Kartographen zu veranschaulichen, indem dieser über die Abbildungsstrategien wie Farbgebung oder Flächenverteilung entscheidet. Mit einem humorvollen Blick auf die Produkte der eigenen Arbeit forderte die "Täterin" selbst einen kritischen Umgang mit Karten ein.

Durch alle Vorträge zogen sich etwa folgende Fragen: Wer stellt Karten her? Welchem Zweck dient eine Karte? Wer ist das Publikum? In welchem gesellschaftspolitischen Kontext entstehen welche Karten? Welche Strategien und Entscheidungen werden getroffen? Was bilden Karten ab, was zeigen sie nicht? Dies sind simple Fragen, die der Historiker an jede Quelle zu stellen hat. In ihnen könnte "Karte" stets durch "Text" ersetzt werden. Die Fragen sind so nahe liegend und im Rahmen der Sektion "Repräsentation des Raumes: das Beispiel der Karte" derart einleuchtend, eindrucksvoll und facettenreich dargestellt worden, dass der Beobachter am Ende mit zwei anderen Fragen zurück bleibt: Weshalb hat die deutschsprachige Historiographie bisher kaum die Karte als Objekt der Forschung entdeckt? Aus welchem Grund führte das Motto "Kommunikation und Raum" nicht zur Kommunikation zwischen den Disziplinen? Die erste Frage stellt sich um so mehr, als auf dem Historikertag von Karten und Kartographie sonst kaum die Rede war. Das überrascht, nachdem Karl Schlögels "Im Raume lesen wir die Zeit" 4 im vergangenen Jahr einiges Aufsehen erregt hatte. Zum so häufig geforderten interdisziplinären Austausch kann nur konstatiert werden, dass im Rahmen des Historikertages die Möglichkeit zu einem Austausch mit Geographen und Kartographen leider weitgehend versäumt wurde. Dieses Versäumnis kann jedoch nicht der Sektion von Ute Schneider und Christof Dipper angelastet werden, die ein eindrucksvolles Panorama an Fragen und Forschungsfeldern an der Schnittstelle von Geschichte, Kartographie und Geographie aufzeigten.

Anmerkungen:

1 Harley, John B., The New Nature of Maps. Essays in the History of Cartography, hg. von Paul Laxton, Baltimore 2001; Black, Jeremy, Maps and Politics, London 1997; Jacob, Christian, L'Empire des cartes: approches théoriques de la cartographie á travers l'histoire, Paris 1992.
2 Für die Schweiz vgl. hierzu: Gugerli, David/Speich, Daniel, Topographien der Nation. Politik, kartographische Ordnung und Landschaft im 19. Jahrhundert, Zürich 2002.
3 Edney, Matthew H., Mapping an Empire: the Geographical Construction of British India 1765-1843, Chicago 1997.
4 Schlögel, Karl, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München 2003.

http://www.historikertag.uni-kiel.de/